VDS Rhein-Neckar

"Die normative Kraft des Faktischen hat immer zwei Seiten"

(Aus dem Referat des Regionalvorsitzenden Udo Leuschner beim Mitglieder-Treffen am 26. April 2006)

Es gibt immer wieder Leute, die uns als moderne Don Quijotes bezeichnen, weil unser Kampf gegen die Überflutung der deutschen Sprache mit Anglizismen ein Kampf gegen Windmühlenflügel sei. Sie wollen damit sagen, daß es sinnlos sei, sich gegen eine Entwicklung zu stemmen, die sowieso nicht aufzuhalten sei. Die Sprache sei schließlich ein lebendiger Organismus, verändere sich ständig, sei ungeheuer aufnahmefähig für fremde Wörter usw. Diese kontemplative Haltung pflegt zum Beispiel das „Institut für deutsche Sprache“ in Mannheim oder die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ in Wiesbaden.

Die VDS-Mitglieder haben ein anderes Verhältnis zur deutschen Sprache. Sie sehen sie nicht aus der Perspektive von Buchhaltern und Erbsenzählern. Sie vertreten nicht den fatalistischen Standpunkt, daß die Dinge nun mal so sind, wie sie sind, weil sie so sind. Sie haben auch keinen unendlichen Respekt vor der sogenannten normativen Kraft des Faktischen. Sie wissen, daß die normative Kraft des Faktischen immer zwei Seiten hat, und daß es auf das persönliche Engagement ankommt, welche Seite die Oberhand gewinnt.

Beim Sprachgebrauch wird die normative Kraft des Faktischen heute vor allem vom Apparat der Massenmedien bestimmt. Das heißt konkret: Wenn Sie hundertmal den Begriff Computer hören, werden Sie kaum noch das deutsche Pendant verwenden, nämlich den Rechner. Und so geht es mit vielen anderen Begriffen, etwa dem „Jogging“ statt Dauerlauf oder dem „Biker“ statt Radfahrer.

Die normative Kraft des Faktischen wird aber auch in umgekehrter Richtung wirksam, wenn nur genügend Druck dafür gemacht wird. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Verdeutschung vieler Fremdwörter, die Ende des 19. Jahrhunderts von Bahn und Post vorgenommen wurde. Das war ein reiner Verwaltungsakt, hinter dem nichts stand als die sprachliche Verfügungsgewalt über einen bestimmten Bereich, so wie uns heute die Massenmedien am laufenden Band irgendwelche denglischen Begriffe einbleuen. Ein Wort wie „Bahnsteig“ anstelle von „Perron“ muß den Zeitgenossen damals so fremd vorgekommen sein, wie wenn heute der VDS den Vorschlag macht, den Begriff „Startuhr“ anstelle von „Countdown“ zu verwenden. Dasselbe gilt für Wörter wie „Abteil“ für „Coupé“, „Flugzeug“ für „Aeroplan“ oder „Fahrkarte“ für „Billet“. Von „Billet“ sprechen heute allenfalls noch die Schweizer. Dafür ist aber bei uns inzwischen nur noch von einem „Ticket“ die Rede, wenn entweder ein Fahrschein, eine Flugkarte, eine Theaterkarte, ein Parkschein oder eine sonstige Einlassberechtigung gemeint ist. Und die Telekom als Nachfolgerin der ehemaligen Postverwaltung gehört heute zu den übelsten Verhunzern der deutschen Sprache überhaupt. Dasselbe gilt für die Deutsche Bahn, die so grauenhafte Wörter wie den „Service point“ erfunden hat.

So ändern sich die Zeiten. Was aber bleibt, ist die Notwendigkeit, die Entwicklung der deutschen Sprache nicht nur kontemplativ zu verfolgen, sondern ihrer Verluderung entgegenzutreten. Diese Verluderung droht momentan sicherlich durch das überall eindringende Englisch und Denglisch. Wir sind weder Deutschtümler noch Don Quijotes, wenn wir diesen Kampf aufnehmen und mit teilweise harten Bandagen führen. Im Gegenteil: Wir sind Realisten, weil wir wissen, daß sich ohne Druck nichts bewegt.