VDS Rhein-Neckar

"Weshalb bekomme ich einen Teil meiner Zeitung auf englisch?"

(Aus dem Referat des Regionalvorsitzenden Udo Leuschner beim Mitglieder-Treffen am 26. April 2006)

Auch auf höherem Niveau werden wir ständig mit englischem und denglischem Imponiergehabe konfrontiert. Zum Beispiel ärgere ich mich als Abonnent der „Süddeutschen Zeitung“ jede Woche über diese Beilage, die eine Auswahl von Artikeln aus der „New York Times“ enthält – „selected for Süddeutsche Zeitung“, wie es im Untertitel heißt. Ja, verdammt noch mal, ich habe doch eine deutsche Zeitung abonniert und gehe davon aus, daß die mich umfassend informiert. Weshalb bekomme ich da plötzlich einen Teil der Zeitung auf englisch?

Es handelt sich hier wirklich um Imponiergehabe, denn die „New York Times“ wird uns hier als eine Art heiliger Gral der Publizistik präsentiert, was sie gar nicht ist. Das ist nur ein alter Mythos aus den Zeiten blinder USA-Verehrung. Zunächst mal ist es so, daß sich gerade in den USA die Publizistik auf einem äußerst erbärmlichen Niveau befindet. Gegenüber dem, was der Amerikaner normalerweise seinen Zeitungen oder anderen Medien entnehmen kann, sind unsere Lokal- und Regionalzeitungen regelrechte Weltblätter.

Zum anderen gibt es aber natürlich auch in den USA ein paar lesbare, durchaus informative Zeitungen. Dazu gehören die „Washington Post“, die „Los Angeles Times“ oder eben auch die „New York Times“. Es sind aber Ausnahmen in einer publizistischen Wüste, und es gibt überhaupt keine Veranlassung, sie zu glorifizieren. Zum Beispiel hat auch die „New York Times“ kritiklos die leicht durchschaubaren Falschinformationen übernommen und verbreitet, mit denen die Bush-Regierung ihren Krieg gegen den Irak propagandistisch begründet hat. Und so was will man uns als Vorbild hinstellen.

Wie der Stein der Weisen in den USA neu entdeckt wird und als "philosopher's stone" in die deutsche Fachliteratur gelangt

Demselben Imponiergehabe begegnen wir im Wissenschaftsbetrieb, in dem sowieso mit viel heißer Luft gehandelt wird. Zum Beispiel habe ich hier die neueste Ausgabe einer psychotherapeutischen Fachzeitschrift, die mir zufällig in die Hände geriet, weil meine Frau Psychotherapeutin ist. Das Titelthema lautet „Klinisches Case-Management“.

Ich will mich jetzt nicht über den Nutzen dieser Behandlungsmethode auslassen, sondern nur an diesem Beispiel darlegen, wie wieder mal in den USA angeblich der Stein der Weisen gefunden wurde, um dann als „philosopher’s stone“ in die deutsche Fachliteratur einzugehen. Denn die beiden Autoren, die hier dieses „Case Management“ vorstellen, sind nicht imstande oder trauen sich nicht, die Schlüsselbegriffe dieses „Case Managements“ – es fängt ja schon mit dem Titel an – ins Deutsche zu übersetzen. So entsteht dann ein vordergründig deutschsprachiger Artikel, dessen gedankliche Substanz aber, soweit vorhanden, englisch ist. Zum Beispiel beschreiben die Autoren verschiedene Funktionen dieses Case Managements unter durchweg englischen Begriffen wie: Screening – Assessment – Planning – Linking/Plan Implementation – Monitoring – Reassessment/Evaluation – Advocacy. Genauso werden die verschiedenen Modelle dieses Case Managements untergliedert in „Advocacy-Modell“, „Broker-Modell“, „Service-Management-Modell“ oder „Managed Care-Modell“.

Dieses englisch-denglische Wortgeklapper ist heute auf fast allen Gebieten anzutreffen. Nehmen wir nur den Jargon der Wirtschaft, in dem ständig die Rede ist von Implementierung, Allokation, Monitoring, Auditierung oder Benchmarking. Da ist von Best-Practice-Regelungen die Rede, von Task Forces, von Tools, Key-Documents, Investor Relations, Performance, Charts – es ist ein einziger Schrecken ohne Ende.

Die deutsche Sprache erleidet so eine schleichende Pidginisierung. Es ergeht ihr ganz ähnlich wie Dialekten, die den Kontakt zur Hochsprache verlieren. Wohin das führt, kann man im Elsaß studieren, wo ein Teil der Bevölkerung noch im alemannischen Dialekt verwurzelt ist, diesen aber nur noch rudimentär verwenden kann, weil dem "Alsacien" die Verbindung zur Hochsprache abgerissen ist. Der Dialektsprecher muß deshalb ins Französische wechseln, sobald es um kompliziertere Dinge und Sachverhalte geht. - Und auch unseren Germanisten ergeht es schon ganz ähnlich, denn sie bezeichnen den hier geschilderten Vorgang als "Code-Switching"...