VDS Rhein-Neckar

Kulturbanause Oettinger ist nicht mehr zu bremsen

Unersetzliche Handschriften sollen ohne Not verscherbelt werden

Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther H. Oettinger hat über die Grenzen des Landes hinaus eine traurige Berühmtheit erlangt, weil er erklärtermaßen Englisch als Arbeitssprache einführen und Deutsch in den Privatbereich verbannen will (siehe Oettinger kann alles außer Deutsch). Ende August haben ihm deshalb die VDS-Mitglieder definitiv den "Sprachpanscher des Jahres" zuerkannt (siehe Oettinger für den "Sprachpanscher des Jahres 2006" nominiert). Mittlerweile betreibt Oettinger den sprachlich-kulturellen Ausverkauf weiter, indem er unersetzliche Handschriften der Badischen Landesbibliothek verscherbeln will. Auch ein weltweiter Sturm der Entrüstung konnte ihn bisher nicht davon abhalten.

Der Skandal beginnt schon damit, daß Oettinger - assistiert von seinen Ministern Peter Frankenberg (Kultur) und Gerhard Stratthaus (Finanzen) - einen Anspruch der Nachkommen des ehemaligen badischen Großherzogs auf die Handschriften unterstellt, der aber völlig unhaltbar ist, weil es sich auch nach dem damaligen großherzoglichen Recht nicht um Privateigentum, sondern um sogenanntes Patrimonialeigentum des Landesherrn handelte. Sämtliches Patrimonialeigentum ist mit der Abdankung des Großherzogs im November 1918 auf das badische Volk bzw. den badischen Staat übergegangen, gehört also heute dem Land Baden-Württemberg. Mit demselben Recht könnten die Nachkommen des Großherzogs den gesamten badischen Landesteil von Baden-Württemberg als ihr Privateigentum beanspruchen.

Die angeblichen Ansprüche des Hauses Baden dienen Oettinger als Vorwand, um mit dem Erlös aus der Versteigerung der Handschriften den großherzoglichen Nachkommen aus der Klemme zu helfen: Die sind nämlich nicht mehr in der Lage, das Schloß Salem - das ihnen nach der Revolution von 1918 tatsächlich als Privatbesitz überlassen wurde - aus eigener Kraft zu finanzieren. Deshalb sollen die erwarteten 70 Millionen Euro aus dem Verkauf der Handschriften dafür verwendet werden, das Schloß Salem zu restaurieren und in eine Stiftung überzuführen, die den gräflichen Bewohnern die Sorge um die Erhaltung des Bauwerks abnimmt. Die Nachkommen des Großherzogs verzichten dafür großzügig auf die Handschriften, die ihnen sowieso nicht gehören...

Es besteht also sogar der begründete Verdacht, daß die Landesregierung Staatseigentum veruntreut – ganz abgesehen von dem unglaublichen Kulturfrevel, den sie mit der Verschleuderung der Handschriften begeht.

"Es fehlen uns die Worte, unserer Verwunderung, unserem Schock und Entsetzen Ausdruck zu geben", schrieben amerikanische und englische Kunsthistoriker in einem Protestbrief, den die Frankfurter Allgemeine am 28.9.2006 veröffentlichte.

Oettinger reagierte auf den weltweiten Aufschrei mit dem bemerkenswerten Argument, die Kritik stehe nicht "auf den Wirtschaftsseiten" der Zeitungen, sondern nur "im Kulturteil".

Der baden-württembergische Ministerpräsident decouvriert sich damit ein weiteres Mal als Kulturbanause erster Güte. Ein weiteres Mal zeigt sich, daß jemand, der die deutsche Sprache durch Englisch ersetzen möchte, auch zu jeder anderen kulturellen Schandtat fähig ist.

 

"Eine Sammlung, die Jahrhunderte sowie Kriege, Umstürze, Pleiten und Plünderungen überlebt hat, wird von einem emporgekommenen Provinzpolitiker versilbert."
Süddeutsche Zeitung (29.9.06)

 


SWR2-Gespräch mit Prof. Walter Berschin, Universität Heidelberg
MP3, Länge 5,48 Minuten/ Gesendet am 29.09.2006 im SWR2 Journal

SWR2-Gespräch mit Prof. Reinhard Mußgnug, Verfassungshistoriker, Universität Heidelberg
MP3, Länge 5,14 Minuten / Gesendet am 28.09.2006 im SWR2 Journal

 

... und er ist doch zu bremsen

Anfang Oktober 2006 gab die Landesregierung ihren grundsätzlichen Verzicht auf den Verkauf der Handschriften bekannt, nachdem inzwischen auch der Kulturstaatsminister der Bundeskanzlerin, Bernd Neumann, interveniert hatte. Von Einsicht war bei Oettinger indessen nicht viel zu bemerken. Er will nun dem Prinzen Bernhard von Baden auf andere Weise unter die Arme greifen, wobei weiterhin an den Verkauf von Bibliotheksbeständen und ähnlicher Kulturgüter gedacht ist.

Weiterhin steht auch der Skandal im Raum, daß der Ministerpräsident eines deutschen Landes öffentlich dafür plädieren konnte, Englisch als Arbeitsprache einzuführen und Deutsch in den privaten Bereich zu verbannen, ohne von einem Sturm der Entrüstung hinweggefegt zu werden.